07.04.2015 

Die Goethe-Orte Blessenbach und Langhecke

Vor 200 Jahren, am 21. / 22. Juli 1815 besuchte Deutschlands berühmtester Dichter Blessenbach, Klein-Weinbach und Langhecke

    

Vor 200 Jahren, genau am 21. und 22. Juli 1815 weilte der Dichterfürst, Naturwissenschaftler und Staatsmann Johann Wolfgang von Goethe zusammen mit dem Herzoglich Nassauischen Oberbergrat Cramer in Blessenbach und Langhecke. Das ist insofern bemerkenswert, als die Reise in den Taunus auch durch andere Städte und Gemeinden der Region führte, wie z.B. Idstein, Camberg sowie Ober- und Niederselters, wo man sicher weit komfortablere Unterkunft hätte nehmen können. Doch Goethe legte in diesen Orten, zur Enttäuschung der heutigen Orts-Chronisten, nur kurze Stippvisiten ein, um genügend Zeit zu haben für das eigentliche Ziel seines Besuchs, die berühmten Erzstollen, Metallhütten und Schiefergruben in Klein-Weinbach und Langhecke. Ein Anlass, auf den Blessenbach und Langhecke auch heute noch stolz sein dürfen.

 

Die hohen Herren waren zu Gast im Hause des Pfarrers und ehem. Konsistorialrats der Reformierten Evangelischen Kirche des Fürstentums Wied-Runkel, Johann Jacob Mess. Pfarrer Mess war ein bekannter Theologe und politischer Befürworter der Vereinigung der Lutherischen und der Reformierten Evangelischen Kirchen im Herzogtum zu einer neuen gemeinsamen Unierten Evangelischen Kirche des Herzogtums Nassau. Er war auch der federführende Herausgeber des neuen Evangelischen Gesangbuchs der schließlich 1817 in der Idsteiner Unionskirche gegründeten Evangelischen Landeskirche von Nassau.

              

Die beiden kleinen Dörfer Blessenbach und Langhecke können sich selbstverständlich nicht mit den großen Goethe-Stätten wie z.B. Frankfurt, Weimar, Jena oder Karlsbad messen. Dass Goethe aber gerade in Blessenbach übernachtete, ist dennoch außergewöhnlich. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass er nicht nur wegen der Nähe zu den Erzgruben und Metallhütten in Langhecke und Klein-Weinbach in Blessenbach einkehrte, sondern er sicher auch die Gesellschaft und den Meinungsaustausch mit dem bis in höchsten Regierungskreisen in Wiesbaden geachteten Pfarrer Mess suchte. Jedenfalls übernachtete er offensichtlich lieber in besinnlicher Akademiker-Gesellschaft im Pfarrhaus von Blessenbach, als in einem der betriebsamen Hotels von Camberg oder Niederselters. 

 

Goethe weilte 1814 und 1815 in Wiesbaden zu Kur- und Badeaufenthalten. Schließlich war er damals bereits 66 Jahre alt und war neben seinen dichterischen und naturwissenschaftlichen Ambitionen durch vielfältige staatspolitische Aufgaben beruflich stark eingespannt und gesundheitlich labil. Dessen ungeachtet unternahm er neben der Bade- und Trinkkur dennoch gerne Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung des Taunus und Rheingaus. Hatte er 1814 überwiegend Ausflüge in den Rheingau unternommen, nach Rüdesheim und zur Einweihung der Rochus-Kapelle bei Bingen sowie nach Winkel zur Familie Brentano, so war er 1815 noch unternehmungslustiger und reiste sogar bis an die Lahn und weiter nach Köln.

Wir wissen darüber so genau, weil Goethe regelmäßig Tagebuch führte und darin alles vermerkte, was er unternommen und erlebt hatte. So können wir heute nachlesen:

 

21.Juli 1815: Blessenbach. Über die Platte. Idstein. Kirche. Schloß. OberSelters bey Verwalter Münz. NiederSelters Brunnen-Commisair Westermann. Nachts Blessenbach bey Pfarrer Meß.        

22.Juli 1815: Bis Limburg. Lange Hecke. Eisen Hütte. Hüttenschreiber Epstein. Bleygrube. Dachschieferbrüche. Eisenguß. Eisensteingrube. Mittag Verw. Münz, Comm. Westermann. Pf. Meß, Schreiber Epstein. Limburg. Rother Ochse.

Außerdem gibt er in einem Brief an Sohn August Goethe, Weimar noch folgende Hinweise:

July 21. Auf Idstein, Kirche und Schloß besehen. Oberselters zu Mittag bey Hüttenverwalter Münz. Nach Niederselters, den Brunnen sehr reinlich, die Wohnung des Brunnen-Commisairs Westermann sehr zierlich gefunden. Nachts in Blessenbach bey dem Landgeistlichen Pfarrer Meß.

 

22. Juli In das Weinthal, wo nie Wein gewachsen, in die Lange Hecke, beyde Namen berüchtigt wegen Schinderhannes Fluchtwinkel. Lange Hecke, ein enges Thal, durchaus unregelmäßige Dachschieferbrüche. Halden und Höhlen, höhlenartige Häuser. Oberwärts Bleygrube, unterwärts Eisenhütte. Zunächst Eisensteingrube. Zu Mittag sämtliche gestern benannte Angestelle. Abends Limburg.

 

Goethes Lahn-Taunus-Ausflugsreise dauerte insgesamt vom 21. bis 31. Juli 1815. Sie kam auf Einladung des Reichsfreiherrn Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein nach Nassau, Lahn zustande. Zur Anreise nutzte Goethe die Mitfahrgelegenheit in einer Staatskutsche gemeinsam mit Oberbergrat Ludwig Wilhelm Cramer. Mit Bergrat Cramer war Goethe bereits seit seinem ersten Kuraufenthalt 1814 in Wiesbaden gut bekannt. Beide Herren waren in ihren Ländern für den Bergbau und das Hüttenwesen verantwortlich. Viele Abende verbrachte Goethe in der Wohnung von Cramer in der unteren Marktstraße, die nicht weit von seinem Hotel in der Langgasse gelegen war. Beide widmeten sich als zuständige Bergbauminister ihrer Länder intensiv mit der Mineralogie und verfügten über eigene Mineralien Sammlungen. Goethe, der Zeit seines Lebens an Geologie und Naturwissenschaften großes Interesse hatte und in Weimar selbst eine große Sammlung von Mineralien unterhielt, ließ sich von Cramer die geologischen Verhältnisse des Nassauer Landes umfassend erklären.

 

Sicher haben die Herren dabei auch Fragen der aktuellen Politik, Wirtschaft, Geschichte und historische Besonderheiten des Herzogtums erörtert. Goethe war u.a. besorgt über die Folgen der Französischen Revolution, die anschließenden Revolutionskriege und des Wiener Kongresses (Juni 1815), nicht zuletzt wohl auch wegen seiner persönlichen Zukunft als Geheimer Rat von Sachsen-Weimar. Andererseits war er aber auch fasziniert von Napoleon, der ihn ebenso bewunderte und sogar zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannte. Einen Orden den Goethe, zum Ärger seines Landesherren Herzog Carl August und vieler Zeitgenossen, bei offiziellen Anlässen bis zu seinem Lebensende mit großem Stolz trug.

 

Cramer dürfte Goethe von den Spuren keltischen und römischen Bergbaus und der Eisengewinnung im Taunus, vom Limes und von der wirtschaftlichen Bedeutung des Erzbergbaus und den Schiefervorkommen an der Lahn berichtet haben. Das wird wohl Goethes Interesse zusätzlich geweckt haben, dass er sich spontan entschloss, die Einladung des Freiherrn vom Stein nach Nassau bzw. an die Lahn mit einer Inspektionsreise Cramers nach Langhecke und Holzappel zu verbinden. So kam schließlich Ende Juli 1815 der Besuch der Erzgruben und Hüttenbetriebe von Klein-Weinbach und Langhecke zustande.

Was die beiden Herren während ihres Besuchs im Bergbaugebiet an der Lahn letztlich im Einzelnen an neuen Erkenntnissen gewonnen haben, muss offen bleiben. Überliefert wird jedoch, dass Hüttenschreiber Epstein aus Langhecke den Herren ausführlich berichtete. Die Bemerkung Goethes über unregelmäßige Schiefer-Gruben in Langhecke, deutet darauf hin, dass auf dem ursprünglich in Kurfürstlich Trierischen Besitz befindlichen Gebiet von Langhecke, die Bergrechte teilweise noch unklar gewesen sein mögen. Unregelmäßig ist heute als ungesetzlich / illegal zu verstehen. Später wurden die Schürfrechte durch neue Pachtverträge auf jeweilige Parzellen mit der Regierung des Herzogtums neu geordnet. 

 

Nach der Inspektion in Langhecke reisten die Herren weiter nach Limburg. Machten Station in Diez und Holzappel und trennten sich schließlich in Nassau. Von dort reiste Goethe gemeinsam mit dem Freiherrn vom Stein per Schiff weiter bis nach Köln und wieder zurück nach Nassau. Über die Bäderstraße führte ihn schließlich die Reise am 31. Juli 1815 zurück nach Wiesbaden.

 

Im Hinblick auf die Vielfalt der Ereignisse dieser Zeitenperioden vor 200 Jahren, bietet Goethes Besuch in Blessenbach und Langhecke, einen lohnenden Anlass auf diesen besonderen Tag in der Vergangenheit der beiden kleinen Dörfer entlang der „Alten Heerstrasse“ noch einmal hinzuweisen.